„November 1954: Ankunft in Paris mit dem Projekt einer abendfüllenden Filmbiographie…“ schreibt Jean-Marie Straub 1966 im Curriculum. Danièle Huillet erinnert sich ihrer Begegnung in einem Radiointerview und sagt, dass sie sich, als sie ihn so in der Métro sitzen sah, gedacht hätte, für das was er vorhabe müsse man schon zu zweit sein.
Chronik der Anna Magdalena Bach
Dieses Projekt, Auftakt ihrer Liebesgeschichte die mehr als 50 Jahre gedauert hat und Anfang eines filmischen Werkes das weitergeht, hatte für sie immer den speziellen Platz dessen was erstmalig und anfänglich ist. Von 1956 bis zum Drehen 1967 waren es elf Jahre Kämpfen und Warten, aber in der Überzeugung, etwas zu machen was es vorher noch nie gegeben hatte:
Johann Sebastian Bach, 1685 – 1750. Neu ist die Idee, die Musik selber als ästhetische Materie zu verstehen und als Hauptgestalt des Films. Daraus folgt die Notwendigkeit, ihr die bestmöglichen räumlichen und künstlerischen Existenzedingungen zu verschaffen. Das war der Anstoß zu den vielen Reisen, die die Straub in den beiden Deutschland unternahmen und der Grund der jahrelangen Recherchen in den Archiven: Drehorte finden, die denjenigen Orten, an denen Bach wirkte, am nächsten kommen, und so viel wie möglich erfahren von den damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Diese für das Kino völlig neue Idee des Umgangs mit Musik – wenn man das so sagen darf! – trat in Resonanz mit derjenigen Idee, die Nikolaus Harnoncourt und Gustav Leonhardt gleichzeitig entwickelten: dass Barockmusik auf Barockinstrumenten gespielt werden soll und in einer Besetzung, deren Zahl jener entsprach für die Bach geschrieben hatte, und nicht derjenigen eines romantischen Orchesters.
Im Nachhinein scheint es völlig selbstverständlich, dass die damals kaum bekannten Leonhardt und Harnoncourt und die unbekannten Straub-Huillet sich trafen und die Musiker sofort bereit waren an diesem Filmprojekt teilzunehmen, wie auch ihr Vorgänger in dieser Bewegung, der Schweizer August Wenzinger mit der „Schola Cantorum Basiliensis“.
Und obwohl elf Jahre vergingen zwischen den ersten Begegnungen und dem Drehbeginn, und obwohl alle inzwischen ihre eigenen Karrieren weitergeführt hatten, so änderte das nichts an dieser anfänglichen Bereitschaft: Alle waren da, mit ihren Schülern und Ensembles, bei Drehbeginn im August 1967.
Anfang 2013, anlässlich des 45. Jahrestages der Uraufführung von Chronik der Anna Magdalena Bach in Utrecht – und zum 80. Geburtstag von Jean-Marie Straub! – haben die Editions Montparnasse zusammen mit den Editions Ombres/Belva Film die Kassette LE BACHFILM herausgegeben, in der zum ersten Mal alle fünf Originalversionen des Films versammelt sind. Dazu kommen eine Bonus-DVD und ein Buch mit zumeist bisher unveröffentlichten Dokumenten, welche von diesem menschlichen und künstlerischen Abenteuer erzählen.
Wir stellen Ihnen hier die deutschen Übersetzungen der Texte und Dokumente zum download zur Verfügung. Alle Rechte vorbehalten, copyright bei den jeweiligen Autoren.
Für Anfragen: straubhuillet@bluewin.ch
(Die Editions Montparnasse haben in bisher 7 Kassetten die historischen Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub und die neuen Filme von Jean-Marie Straub herausgegeben: 1962 – 2012! Alle diese Kassetten ebenso wie LE BACHFILM sind direkt bestellbar bei: www.editionsmontparnasse.fr)
Buch
Barbara Ulrich, Die fünf Originalfassungen des Bachfilms
Benoît Turquety, Jeunesses musicales. L’invention de “Chronique d’Anna Magdalena Bach”,
Übersetzung Johannes Beringer
Helmut Färber et Jean-Marie Straub Passages d’une conversation à propos de “Chronique d’Anna Magdalena Bach”
Jean-Marie Straub zu CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH, Passagen aus einem Gespräch vom 14./16./18. Mai 2010 (ORIGINALTEXT)